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Niemand rettet sich allein!

Pastorale Botschaft für eine Kirche nahe bei den Menschen

Die kürzlich veröffentlichte Enzyklika «Fratelli tutti» stellt das erste Kapitel unter den Titel «Die Schatten einer abgeschotteten Welt». Zu diesen Schatten zählt Papst Franziskus auch die Pandemie COVID-19. Diese Krise macht uns bewusst, dass wir «eine weltweite Gemeinschaft in einem Boot (sind), wo das Übel eines Insassen allen zum Schaden gereicht.» (FT 32). Aus diesem Bewusstsein heraus ergibt sich der nächste Schritt, den der Papst mit uns teilt und mit Überzeugung bekräftigt: «Wir haben uns daran erinnert, dass keiner sich allein retten kann, dass man nur Hilfe erfährt, wo andere zugegen sind.» (FT 32)

 

In einer Zeit, in der unsere politischen Behörden die Massnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung der Pandemie verschärfen, ist es unsere Pflicht als Mitglieder der Kirche und als Bürger dieses Landes, mit jenen eine Einheit zu bilden, die diese Entscheidungen zum Wohle des Volkes so getroffen haben. Man kann Ungereimtheiten, ja sogar Widersprüche in den erlassenen Massnahmen suchen – es gibt deren einige – man kann sich über sie beschweren und sie zum Inhalt von Anklagen und sogar zur Ursache eines Streites machen. Viele Reaktionen, die wir erhalten, weisen auf diese Möglichkeit hin, andere fordern, dass zurzeit jede seelsorgliche Arbeit eingestellt werden soll und wieder andere schlagen einen Weg vor, den wir mit ihnen teilen wollen: es ist der schmale Pfad der Nähe zu den Menschen, der Weg des Kontaktes zu Einzelpersonen oder zu Kleingruppen. So schreibt uns eine Mitarbeiterin in der Pfarreiseelsorge:

 

Es scheint mir, dass die Zeit gekommen ist, in den Widerstand einzutreten, nicht gegen die Entscheidungen der Behörden, die strikt befolgt werden müssen, sondern gegen jenen bösen Geist der Spaltung in der Form eines kleinen Virus, das die Versammlungen der Gemeinschaft verhindert, die doch das Herzstück unseres christlichen Lebens sind, auch wenn sie freilich nicht das ganze Leben darstellen.

Da es nicht mehr möglich ist, sich in einer zahlenmässig grossen Gemeinschaft zu treffen – niemand weiss wie lange die Massnahmen andauern – können wir kleine Gemeinschaften bilden, in denen sich 4, 5, 6, …. 10 Bewohner von Quartieren oder Wohnhäusern zusammenfinden um mit grosser Vorsicht im Blick auf die Pandemie das Evangelium zu teilen und gemeinsam zu beten.

 

Es ist durchaus angebracht festzustellen, dass wir die Pandemie auch als Chance verstehen können. Sie stellt die Ansicht jener Menschen in Frage, die meinen, dass man nur am Sonntag, in einer Kirche und in Anwesenheit eines Priesters beten kann. Die Pandemie stellt diese auch heute noch vielfach vorhandene Idee in Frage und eröffnet einen Weg für das gemeinsame Gebet unter Getauften auch während der Woche und zu Hause. Es gibt viele Beispiele und Möglichkeiten, wie wir im Frühling während des ersten Lockdowns gesehen haben.

Wenn uns die Pandemie also daran hindert in grösserer Zahl in den Pfarrkirchen zusammenzukommen, sollten wir gerade deshalb die Möglichkeiten für persönliche und individuelle Begegnungen nicht verpassen.

 

  • Hausbesuche bei Familien, für die Seelsorgende – Priester und Laien – oft zu wenig Zeit zur Verfügung haben, können gerade jetzt angesetzt werden.
  • Kommunion zu Hause: man kann Kommunionhelferinnen und -helfer einladen am Gottesdienst teilzunehmen und die Kommunion nach der Eucharistie zu den Zuhause gebliebenen Mitmenschen zu bringen. Auch so kann sich eine eucharistische Gemeinschaft zeigen.
  • Es empfehlen sich persönliche Besuche bei Trauerfamilien und bei Menschen, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind.
  • Wir können die Eucharistie in Quartieren, in einzelnen Häusern oder bei Familien feiern. Nehmen wir unsere «tragbaren Altäre», gehen wir hin zu den Menschen und bilden wir eine kleine Hauskirche.
  • Wir können zu einer Meditation über das Wort Gottes einladen: «Fanden sich Worte von dir, so verschlang ich sie; dein Wort wurde mir zum Glück und zur Freude meines Herzens.» (Jer 15,16)
  • Wir können unsere Kinder einladen eine Zeichnung zu machen und diese mit einem Grusswort der Erwachsenen an die Bewohner und Bewohnerinnen in Alters- und Pflegeheimen oder an kranke Personen zu senden.
  • Unsere Kirchen sollen weiterhin geschmückt werden, die Glocken laden weiterhin zu den üblichen Zeiten die Menschen zum persönlichen Beten ein.
  • Seelsorgende – Priester und Laien – können am Nachmittag von Allerheiligen und an Allerseelen auf dem Friedhof sein, dort die einzelnen Menschen begrüssen, mit ihnen ein Gebet sprechen und mit ihnen ein Zeichen der Anteilnahme austauschen.

 

Diese Liste lässt sich beliebig verlängern. Das Ziel besteht darin, die Gemeinschaft und die Einheit der Gläubigen zu bewahren, trotz der Pandemie und trotz aller Massnahmen zu der uns die Gesundheitsbehörden verpflichten. Wenn wir uns nicht in einer grossen Gemeinschaft treffen können, dann eben anders:

 

Teilen wir uns auf, weil wir das müssen. Seien wir wie Samenkörner. Kein Bauer sät die Ähre, sondern immer das einzelne Korn.

 

Dieses Bild, das wir in einer Zuschrift erhalten haben, ermutigt uns in allen momentanen Schwierigkeiten auch ein Zeichen der Hoffnung zu sehen. Ist das nicht ein echtes Zeugnis eines Christen mitten in der Zeit der Pandemie? Wenn die Körner von der Ähre getrennt werden führt diese Trennung zu neuer Frucht und zu neuem Leben.

 

Das gilt auch für unsere Feiern mit den Kindern, für die Schulmessen oder für geplante Veranstaltungen mit Erwachsenen. Wir können einfach alles absagen oder wir können diese Feiern und Treffen aufrecht erhalten und sie mit ganz kleinen Gruppen durchführen. Das erfordert freilich Zeit. Aber wenn wir es nicht tun, dann bringen wir zum Ausdruck, dass diese Feierformen und Anlässe uns nicht so wichtig sind und dass sie problemlos gestrichen werden können.

 

Wir danken am Schluss all jenen, die sich in dieser Zeit selbstlos und grosszügig einsetzen, damit der Heilige Geist durch sie den Weg zu den verletzten Herzen findet. Niemand rettet sich allein! Auch deshalb erlaubt der Bischof von Sitten den Priestern im Sinne von can 905 §2 des Kirchenrechts in dieser Zeit eingeschränkter Möglichkeiten an Werktagen zwei Messen zu feiern, an Sonn- und Feiertagen sogar drei.

 

Im Vertrauen auf Ihren guten Willen in der Seelsorge im Sinne der Kirche allen Brüdern und Schwestern in Ihren Pfarreien und Gemeinschaften zu dienen, bekräftigen wir unsere Dankbarkeit für Ihren Einsatz und für Ihre unerlässliche Zusammenarbeit. Möge der Herr unser Gebet hören, wenn wir darum bitten, dass er die ganze Welt von allem Bösen und von allem Übel befreit.

 

Sitten, 24. Oktober 2020

 

+ Jean-Marie Lovey                            Richard Lehner                       Pierre-Yves Maillard

Bischof von Sitten                              Generalvikar                           Generalvikar