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Durch den Schatten zum Licht

Liebe Diözesane

Wenige Tage vor der Karwoche, dem Zentrum und Höhepunkt des liturgischen Tuns und des kirchlichen Lebens, stellt sich die Frage, warum wir nicht laut und deutlich wiederholen sollen, dass wir Christen aufgerufen sind uns in aller Freiheit zu versammeln um den Tod und die Auferstehung Christi zu feiern? Beides, den Tod und die Auferstehung!

Wenn wir unser momentanes Leben in den Blick nehmen, spüren wir sehr gut, wie der Tod um uns herum am Werk ist. Der Karwoche mit all ihrem Leiden und mit allen Qualen, die Jesus in den Tod führen, scheint ein sehr aktueller Weg zu sein. Mit allen Menschen, die durch das Coronavirus ihr irdisches Leben bereits verloren haben, erreichen wir am Karfreitag um 15.00 Uhr Golgotha. Lassen Sie uns gemeinsam einige Schritte auf diesem Kreuzweg gehen.

  • Grosseltern, denen der Kontakt zu ihren Enkeln verwehrt ist und umgekehrt, stellen sich viele Fragen. Diese Atmosphäre der Unsicherheit, die durch die erzwungene Isolation noch verstärkt wird, hinterlässt in unserem Alltag ein Leere, von der auch die Jünger und die Freunde des Leidenden im Garten von Gethsemane befallen waren und die sie weglaufen liess. Hier leuchtet aber bereits das Licht eines tröstenden Engels auf.
  • Die steigende Zahl der Kranken, Ihre Familien, Verwandten und Freunde stellen sich in der 8. Station neben die Frauen von Jerusalem an den Weg und hoffen, dass sie von dem, der vorbeigeht, getröstet werden. Sie nehmen noch nicht wahr, dass es ihm schlechter geht als allen anderen. Das Licht, das hier ausgestrahlt wird, komme «auf euch und eure Kinder» herab.
  • Trotz aller Menschen um ihn herum, war er sehr einsam um sein Leiden zu tragen. Dann kommt eine Krankenschwester, ein Arzt, eine Pflegeperson im Spital oder zu Hause und wagt es, ohne es zu wissen, sich mit Simon von Cyrene zu identifizieren und sich darauf einzulassen mit starken Armen die Last zu tragen, die für einen alleine zu schwer ist. Da erscheint ein anderes Licht, das der vielen Schutzengel, die sich am Bett eines Bruders oder einer Schwester menschlich um ihn kümmern.
  • Es waren nur einige wenige da, die seinen Leichnam im Garten in ein neues Grab legten: Maria, seine Mutter, Johannes, der Jünger, den er liebte, Josef von Arimathäa und Nikodemus. Dazu zwei Soldaten, von denen einer mit seiner Lanze in seine Seite stach.

Auch heute sehen sich viele gezwungen in ähnlicher Weise eine Beerdigung im kleinen Kreis zu feiern. Maria und Johannes, denen der Herr vom Kreuz herab die Sorge füreinander aufgetragen hat, sind ein Zeichen, dass die Kirche bei jeder Beerdigung anwesend ist. Das ist noch ein anderes Licht: es ist zugleich sanft und tröstlich, weil es mit Maria mütterlich ist und stark mit Johannes, einem der Donnersöhne.

Auf der anderen Seite dieser Dramen, die miteinander verbunden sind und unsere Sinne fast bis zur Blindheit führen, steht das einfache Licht der Hoffnung, das überall aufleuchtet. Und das grösste dieser Lichter brennt am Morgen des dritten Tages. Es entspringt aus dem dunkelsten Schatten des Grabes.

In der Pandemie, die unsere Welt belastet, gibt es auch Lichtblicke. Zeichen der Verfügbarkeit, der Solidarität, der Aufmerksamkeit, des Wagemuts und der Fürsorge unterstützen, ermutigen und begleiten uns. Und diese Zeichen tun uns gut. Sind es nicht Zeichen dafür, dass wir für das Licht geschaffen sind? Wer weiss, ob die Prüfungen dieser Zeit nicht zu spürbaren Veränderungen führen werden, ob die diesjährige Fastenzeit nicht der Beginn eines neuen Lichtes ist, das der ganzen Menschheit zugesagt ist? Mögen unsere Augen dieses neue Licht erkennen können, das am Horizont aufsteigt. Mögen wir es wagen, den Glauben an das Leben zu bezeugen und ihn zu verbreiten, weil Jesus selbst für das Leben der Welt auferstanden ist.

Frohe und gesegnete Ostern!

 

+ Jean-Marie Lovey
Bischof von Sitten